Karfreitag
Mein letzter Blog-Post war an Weihnachten. Die Zeit scheint zu rasen, der Alltag vorbeizufliegen. Gerade haben wir Christen uns noch über Jesu Geburt gefreut, heute gedenken wir seiner Kreuzigung. Der Karfreitag heißt im Englischen „Good Friday“. (In anderen Sprachen übrigens u.a. „Loved Friday“ oder „Great Friday“.) Und man fragt sich: Was ist daran „gut“?
Der Karfreitag als „stiller Feiertag“ und das anschließende Osterfest zählen zu den höchsten christlichen Feiertagen. Tod und Trauer folgen Auferstehung und Freude.
Während ich für den Blog brainstorme und recherchiere, clicke ich mich durch meine Musik-Mediathek und bleibe bei einem Lied hängen, das ich länger nicht mehr gehört habe. „You know my name“ von Chris Cornell, der Titelsong aus dem James Bond-Film Casino Royale. Weil ich über den Interpreten so ad hoc eigentlich nichts weiß, schaue ich nach und lese, dass Chris Cornell u.a. Singer/ Songwriter und Gitarrist von Soundgarden war. Schon im Teenageralter war er suchtkrank und drogenabhängig. Im Mai 2017 beging er Suizid
Besuch aus dem Jenseits
Ich habe kürzlich meine Weiterbildung zum Coach für Psychische Gesundheit abgeschlossen. Substanzmissbrauch und Suizid waren u.a. auch hier Thema. (Wenn Du jetzt stutzig wirst und Dich fragst, was das mit Karfreitag und Ostern zu tun hat – sehr gut! Gerade dann lohnt es sich, weiterzulesen.)
Wir kamen dabei in den Austausch über den Tod und den Umgang damit. Eine Teilnehmerin mit mexikanischen Wurzeln erzählte vom „Día de los Muertos“, einem der wichtigsten Feiertage in Mexiko, an dem der Toten auf eine sehr festliche und positive Art und Weise gedacht wird. Nach altmexikanischem Glauben kehren die Verstorbenen einmal im Jahr – zum Ende der Erntezeit am 02. November – aus dem Jenseits zurück und zelebrieren gemeinsam mit den Lebenden ein fröhliches Wiedersehen. Dazu wird getanzt, geschmückt, gegessen und gesungen. Dieser Tag ist alles andere als eine Trauerveranstaltung, sondern ein buntes, lebendiges Fest zu Ehren der Toten, deren Seelen zu dieser Zeit die Familien besuchen.
Einstellungssache? Der Tod als Teil des Lebens
Wer schon einmal einen oder mehrere geliebte Menschen verloren hat, weiß, welche Emotionen das in ihm oder ihr ausgelöst hat. Vielleicht fühlt man sich beklemmt, ängstlich, panisch, verzweifelt, überfordert oder leer, verbunden mit einer unfassbaren Schwere und vielen Tränen.
Im Allgemeinen ist der Tod verständlicherweise erst einmal etwas Negatives, Trauriges. Es steht für Trennung, Loslassen, Verlust, Ende. Manchmal geht dem Abschied eine lange Leidensgeschichte voraus, ein anderes Mal trifft uns eine solch schlimme Nachricht aus heiterem Himmel und reißt uns den Boden unter den Füßen weg. Wie wir mit Trauer umgehen und wie lange diese Phase dauert, ist individuell ganz unterschiedlich.
Unsere (deutsche) Kultur ist eine Kultur des Lebens. Das Thema Tod macht uns Angst und wird daher weitestgehend vermieden, oft auch automatisch und unbewusst. Wie wir wissen, führt eine Vermeidung, ein „Weg-haben-wollen“ von etwas Unangenehmen leider meist genau ins Gegenteil. Vermeidung verstärkt die Furcht vor etwas und ehe man sich versieht, rutscht man in die Angstspirale. Hatte der Vermeidungsversuch doch eigentlich die gute Absicht, die Kontrolle zu behalten, entgleitet uns diese. Kopfkino. Schlechter Film.
Dem Tod den Schrecken nehmen
Es kann sehr entlastend sein, Raum zu schaffen, um über ein so schweres und trauriges Thema zu sprechen, es zu enttabuisieren. Ob in Therapie, Coaching oder im Freundes- und Familienkreis hilft es, dem Leben so (wieder) eine wertorientierte Richtung zu geben. Innehalten, Reflektieren, Bilanz ziehen – das kann sehr kraftvoll und lebensbejahend sein.
Vielleicht sind wir als Gesellschaft auch schon auf einem guten Weg. Vermehrt sprechen wir in den letzten Jahren über bucket lists, Vorsorgeaufträge, Patientenverfügungen oder Erbschaftsangelegenheiten, bevor es zu spät ist. Wie wäre es, ebenso über die eigene Trauerfeier zu sprechen? In der Dokumentation „Sterben für Anfänger“ auf RTL+ haben sich Moderator Steffen Hallaschka und Dragqueen Olivia Jones kürzlich nicht nur dem Thema Tod angenähert, sondern in einem ungewöhnlichen Selbstversuch ihre eigene Beerdigung geplant. Why not?
Aus persönlicher Erfahrung kann ich sagen, dass ein offener Umgang Betroffenen und Angehörigen die Situation erleichtert. Warum sollte man nicht besprechen, welche Art von Trauerfeier man sich wünscht, wie der Blumenschmuck sein soll oder welche Lieder gespielt werden?
Hoffnung und Liebe
Bitte nicht falsch verstehen: es geht nicht darum, alles so weit zu besprechen und zu planen, dass man im Fall der Fälle bestens auf alles vorbereitet ist und womöglich Traurigkeit „verhindert“ oder negative Emotionen vermeidet – nein. Diese gehören dazu, wir sind Menschen aus Fleisch und Blut, mit Herz und Verstand. Auch meine ich nicht, dass jede und jeder über dieses Thema sprechen muss, natürlich nicht. Es geht vielmehr darum zu zeigen, dass es weitergeht, es geht darum, Mut zu machen. Ganz im Sinne der Osterbotschaft.
Was ist also „gut“ am Karfreitag, dem letzten Lebenstag von Jesus? Dass der Tod zum Leben dazu gehört, ohne das eine, gibt es das andere nicht. Dass es trotz Leid Hoffnung gibt, dass wir darauf vertrauen dürfen, dass wieder bessere Zeiten kommen, dass die Trauer vielleicht nie ganz weggeht, aber etwas Neues entstehen lässt.
Und dass unser aller Leben auf der Erde endlich ist.
Aber dass die Liebe bleibt.
Disclaimer
Ich schreibe hier über den Tod im Allgemeinen, habe eingangs jedoch das Beispiel vom Suizid des Sänger Chris Cornell verwendet. Hierzu der Hinweis, dass Angehörige von potenziell suizidgefährdeten Personen den Suizid nicht auslösen, in dem sie ein Gespräch suchen. Dass durch Nachfragen und Ansprechen jemand auf die Idee kommt, sich das Leben zu nehmen, ist ein Mythos und nicht valide. Weitere Hinweise finden sich u.a. auf der Website des Nationalen Suizidpräventionsprogramms der Universität Kassel. https://www.suizidpraevention.de
Hier findest Du Hilfe bei Suizidgedanken:
Deutschland
https://www.suizidprophylaxe.de/hilfsangebote/hilfsangebote/
Telefonseelsorge: 0800 111 0 111
https://www.feel-ok.ch/de_CH/jugendliche/themen/suizidalitaet/hilfsangebote/adressen/hilfe.cfm
Schweiz
Für Kinder und Jugendliche
https://www.projuventute.ch/de/eltern/familie-gesellschaft/suizid
Telefon 147
Die Dargebotene Hand
Telefon 143
Österreich
https://www.gesundheit.gv.at/leben/suizidpraevention/betroffene/krisentelefonnummern.html