„Wir bringen jeden Tag unser Haar in Ordnung. Warum nicht auch unsere Seele?“

 

Diesen Spruch habe ich in ähnlicher Fassung einmal bei meinem eigenen Coach gelesen. Als ich letzte Woche dann nach über sechs Monaten (!) endlich wieder einmal beim Friseur war, fiel er mir wieder ein. Über sechs Monate … was soll ich sagen? Mein Mood war irgendwo zwischen „es ist mehr als überfällig“ und „es ist eigentlich auch schon egal“. Aber meine langjährige Coiffeuse hatte vor einer Weile aufgehört und da stand ich nun mit herausgewachsenem Schnitt und verblassten Strähnen und wusste nicht so recht, wer mir den Kopf waschen sollte.

Zugegeben: auf mich persönlich traf der Spruch ohnehin eher in umgekehrter Weise zu, zumindest wenn es sich um Besuche beim – wie es hier heißt: Coiffeur handelte. Doch zu wissen, dass da jemand war, zu dem ich ein Vertrauensverhältnis aufgebaut hatte und der professionell seinen Job machte, um mich schöner und besser fühlen zu lassen, war doch immer sehr beruhigend. Und natürlich mach´ ich mir ja auch selbst jeden Tag die Haare, jedoch meist husch husch, Zopf oder Mama Bun, fertig. Aber nun war meine Coiffeuse des Vertrauens weg und ich auf der Suche nach einem neuen Salon, bei dem ich Haare und Geld lassen würde. (Dieses Bild ist das Resultat meiner Entscheidung und ich denke, das war ein guter Schritt – und Schnitt.)

Haare. Ich vernachlässige sie oft. Und gleichzeitig weiß ich, wenn ich sie plötzlich nicht mehr hätte, würde mir ganz klar etwas fehlen. Ich denke an den Sohn meiner Freundin, der mit seinen gerade erst neun Jahren eine Chemotherapie macht, wie so viele andere Menschen auch. Einerseits ein sprichwörtlicher Einschnitt, wenn die Haare im Zuge einer Krankheit oder Behandlung ausfallen, und eine Freude, wenn sie dann wieder wachsen. Andererseits sind es für viele Patienten eben doch nur Haare und eher unbedeutend in Zeiten, in denen es ums Gesundwerden geht und Äußerlichkeiten in den Hintergrund treten.

 

Wir können uns in der Drogerie eine Tönung oder Nagellack kaufen. Aber statt uns die Haare selbst zu färben und zu schneiden, gehen wir normalerweise zum Friseur. Statt uns die Nägel selbst zu lackieren, gönnen wir uns eine Mani- oder Pediküre. (Warum auch nicht? Das machen wir teils schon seit Jahren so. Wir erhalten dort eine professionelle Dienstleistung, nach der wir uns besser fühlen, vielleicht auch den ein oder anderen Tipp für Zuhause und zur Selbsthilfe.)

Für so ziemlich alles, was äußerlich sichtbar ist, gibt es unbegrenzte Angebote, die gern genutzt werden, um die optisch möglichst schönste oder beste Version von sich selbst zu sein (eine Formulierung, die man ja in diesem Zusammenhang oft liest): Saftkuren, Personal Training, Bleaching, Veneers, Botox, bis hin zu kleinen oder größeren operativen Eingriffen – all dies ist längst salonfähig. Wir posten gesundes Essen, unsere sportlichen Erfolge oder benutzen auch gern mal einen Filter, um unsere Haut glatter, unsere Zähne weißer und unsere Augen strahlender erscheinen zu lassen.

Aber unser Innerstes? Wieso widmen wir uns unserer Seele, unserem Herz, unserem mentalen Wohlbefinden nicht mit dem gleichen Selbstverständnis? Ja, das würde heißen, sich eindringlich mit sich selbst zu beschäftigen. Einen Coach so nah an sich heranzulassen wie einen Friseur. Welchen Unterschied gibt es da? Sprechen wir hier von einer anderen Nähe, wenn es um Reflektieren und Zulassen von Gedanken und Gefühlen geht?

Ich frage mich oft, wieso es immer noch eher unpopulär ist, sich neben regelmäßigen Schönheits- und Pflegeritualen auch täglich (oder wöchentlich … sagen wir: wenigstens monatlich) um seine mentale Gesundheit zu kümmern? Machen wir alles, was uns im Inneren beschäftigt, was uns belastet, stresst etc. mit uns selbst aus? Was hält uns ab, uns hierfür professionelle Unterstützung zu holen? Ist es ein Makel, ein Eingeständnis von Schwäche oder Überforderung?

Es ist so: wenn es um uns geht, sind wir selbst die besten ExpertInnen – gar keine Frage. Wir wissen, was uns guttut, was uns liegt, was wir brauchen und was nicht. Ist das so? Klares Ja! Aber: es kommt doch hin und wieder vor, dass wir feststecken, nicht weiterwissen, den Wald vor lauter Bäumen nicht sehen, aus unseren Denkmustern nicht herauskommen, die Lösung für ein Problem unmöglich scheint. Und dann? Fragen wir vielleicht eine nahestehende Person um Rat. Reden. Auskotzen. Das hilft, ist gut für unsere Psychohygiene (je nach Thema übrigens nicht zwangsläufig auch für unser Gegenüber). Fürs Erste. Und doch bringt es uns oft nicht viel weiter, weil wir erfahrungsgemäß in solchen Gesprächen in unserer eh schon festgefahrenen Meinung bestärkt werden oder einen Rat erhalten von jemandem, der gar nicht in unseren Schuhen steckt. Weil das dann nicht unsere Lösung ist, ist sie daher weniger anschlussfähig oder nachhaltig.

Wie halten wir nun also unser Seelenleben in shape? Reicht es, unser Äußeres zu polieren, damit es sich auch innen gut anfühlt? Oder ist Mental Health doch mehr, als ein bisschen Me-Time, Kosmetik, Wellness und Digital Detox?

Die Fortsetzung meiner Gedanken hierzu kannst Du direkt im nächsten Blog mit dem Titel “Kellerarbeit” lesen.