
Wie geht´s dir?“ „Uff … gute Frage. Ich weiß es gar nicht. Wie geht es mir? Ich bin gerade etwas … desillusioniert? Ja, das ist vielleicht das passende Wort.“, war die Antwort einer Klientin in einer der letzten Coaching-Sitzungen. Ich bat sie, mir mehr darüber zu erzählen, was sie genau damit meinte.
Es stellte sich heraus, dass ihr Partner von seinem Arbeitgeber spontan für ein Samstags-Meeting bestellt wurde, ohne dass man ihn fragte, ob es vielleicht private Termine gäbe. Dass er in seinem (noch recht neuen) Job sowieso jede Menge Überstunden mache und viel mehr unterwegs sei als geplant, sei offenbar der neue Standard, beklagte sie. Und während seines Urlaubs wurde er vom Chef und dessen Assistentin letztens auch ganz selbstverständlich kontaktiert mit der Bitte, an einem Call teilzunehmen.
„Und weißt du, was ein guter Freund zu mir sagte, als ich ihm davon berichtete?“, fragte mich die Klientin aufgeregt. „Gewöhn dich dran! sagte er. Allen Ernstes … sag mal!“ Ihre Empörung war auch jetzt noch spürbar. Dass ein modernes, professionelles Unternehmen offenbar so wenig Bewusstsein dafür habe, dass seine Mitarbeitenden eben Mitarbeitende seien, dass sie ein Privatleben hätten und selbst als Führungskraft nicht uneingeschränkt zur Verfügung stünden, enttäuschte sie. Ihr Partner fände es zwar schon ein bisschen toll, Teil dieser Unternehmung zu sein, gebraucht zu werden und eine gute und verantwortungsvolle Position zu haben, war aber ebenfalls nicht sehr amused und fühlte sich in der Zwickmühle zwischen privaten und beruflichen Erwartungen.
„Gewöhn dich dran! Nee. Weißt du … mein Freund ist schon älter, aber mit dieser Reaktion hätte ich wirklich nicht gerechnet.“ Sie habe ihn immer als eher offen und modern wahrgenommen und fühlte sich sofort getriggert.
„Was hast du ihm denn entgegnet?“, wollte ich wissen. „Auf gar keinen Fall!“ platzte es aus ihr heraus, vermutlich mit der gleichen Vehemenz wie in jenem Moment. „Und irgendwas wie ,Wir leben im Jahr 2024, das ist staubig und old school´ warf ich noch hinterher. Ich frag mich einfach, welche Unternehmenskultur da herrschen muss, wenn Arbeitsleistungen, -zeiten und commitment über das Maß hinaus als selbstverständlich vorausgesetzt werden. Und wieso kann oder sollte man das einfach hinnehmen? Ich finde das falsch.“
Mentale Gesundheit und Psychologische Sicherheit
Diese Episode aus dem Coaching bringt mich zu meinem Herzensthema, der psychologischen Sicherheit und mentalen Gesundheit am Arbeitsplatz. Was kann man sagen und fragen, ohne Konsequenzen befürchten zu müssen, wie wohl und sicher fühlt man sich in seinem beruflichen Umfeld?
Im Rahmen des vergangenen World Mental Health Days, der erstmals am 10. Oktober 1992 auf Initiative von Richard C. Hunter begangen wurde, wollte ich kürzlich von meinem Netzwerk wissen, wo wir aktuell in Bezug auf dieses Thema stehen. Die World Federation for Mental Health (WFMH), gegründet in 1948, hatte für das Jahr 2024 das Motto „It´s time to prioritize mental health in the workplace!” ausgerufen.
In diesem Zusammenhang habe ich einen Survey erstellt, an dem 50 Personen teilgenommen haben und dessen wesentliche Ergebnisse ich heute mit Euch teilen möchte. Sie zeigen deutlich, dass das Thema zwar zunehmend an öffentlicher Bedeutung gewinnt, jedoch noch viel Potenzial für Verbesserungen besteht.

Kurz vorweg werfen wir jedoch noch einen schnellen Blick auf die beiden Begriffe Mental Health und Psychologische Sicherheit.
Mentale Gesundheit bedeutet mehr als die Abwesenheit psychischer Erkrankungen – sie beschreibt einen Zustand des Wohlbefindens, in dem Menschen mit Herausforderungen umgehen, ihr Potenzial entfalten und am gesellschaftlichen Leben teilhaben können. Sie beeinflusst unsere Entscheidungsfähigkeit, Beziehungen und Lebensgestaltung und variiert individuell je nach Belastungsempfinden und Kontext.
Psychologische Sicherheit beschreibt das Vertrauen in einem Team oder einer Organisation, ohne Angst vor negativen Konsequenzen Ideen äußern, Fehler zugeben oder Kritik üben zu können. Sie fördert offene Kommunikation, Vertrauen, Lernen aus Fehlern und Innovation. Fehlt sie, entstehen Angst, Zurückhaltung und geringere Leistungsfähigkeit.
Zusammenfassung der Survey-Ergebnisse
Mentale Gesundheit in der Unternehmenskultur
Mental Health ist bei vielen Arbeitgebern noch nicht fest in der Unternehmenskultur verankert. Nur ein kleiner Teil der Befragten empfindet das Thema als einen klar etablierten Wert, während fast zwei Drittel es als nur teilweise oder kaum verankert wahrnehmen. Dies verdeutlicht die Notwendigkeit, Mental Health stärker als integralen Bestandteil der Unternehmenswerte zu etablieren.
Rolle der Führungskräfte
Die Unterstützung durch Führungskräfte spielt eine entscheidende Rolle für das mentale Wohlbefinden der Mitarbeitenden. Die Umfrage zeigt, dass sich nur ein kleiner Anteil der Befragten sehr gut unterstützt fühlt. Viele empfinden die Unterstützung ihrer Führungskraft als unzureichend oder gar nicht vorhanden. Neben dem Schaffen eines Bewusstseins in der Unternehmensführung sollten die Führungskräfte über entsprechende Schulungsangebote sensibilisiert und unterstützt werden.
Offenheit im Team
Der Austausch über mentale Gesundheit ist in den meisten Teams noch nicht selbstverständlich. Weniger als die Hälfte der Befragten empfindet die Kommunikation darüber als offen und vertrauensvoll. Umso wichtiger ist es, eine Kultur der Offenheit zu fördern, um Stigmatisierung abzubauen und den Dialog zu erleichtern.
Angebote zur Förderung der Mental Health
Flexibilität am Arbeitsplatz, wie Homeoffice-Optionen und flexible Arbeitszeitmodelle, sind die häufigsten Angebote zur Förderung der mentalen Gesundheit. Spezifische Programme wie Workshops oder Seminare zu dem Thema werden selten angeboten. Hier können Unternehmen hier noch gezielter agieren.
Gesundheit vs. Leistungsfähigkeit
In vielen Unternehmen steht die Leistungsfähigkeit weiterhin im Vordergrund. Ein beachtlicher Anteil der Befragten hat das Gefühl, dass Gesundheit nicht den gleichen Stellenwert wie die Leistung hat. Ein Gleichgewicht zwischen beiden Aspekten herzustellen wäre ein wichtiger Schritt.

Physische und psychische Gesundheit im Vergleich
Obwohl ein Teil der Befragten beide Gesundheitsaspekte als gleichwertig wahrnimmt, liegt der Fokus bei den meisten Arbeitgebern auf der physischen Gesundheit. Die psychische Gesundheit wird noch häufig vernachlässigt, was zeigt, dass hier großer Handlungsbedarf besteht.
Fürsorgepflicht des Arbeitgebers
Die Wahrnehmung der Fürsorgepflicht des Arbeitgebers in Bezug auf mentale Gesundheit ist recht unterschiedlich. Während einige Befragte den Arbeitgeber als ausreichend verpflichtet sehen, empfindet ein erheblicher Teil die Fürsorge als unzureichend oder nicht vorhanden. Auch hier kann noch mehr Bewusstsein geschafft werden.
Generationenunterschiede im Umgang mit Mental Health
Interessant ist der offenbar deutliche Unterschied im Umgang mit Mental Health zwischen den Generationen. Die jüngere Generation gilt als offener und aktiver im Umgang mit diesem Thema, was eine Aufmerksamkeitsverschiebung und ggf. positiven Wandel für die Zukunft erwarten lässt.
Psychologische Sicherheit am Arbeitsplatz
Psychologische Sicherheit spielt eine entscheidende Rolle für das Wohlbefinden und die Leistungsfähigkeit von Mitarbeitenden. Wie die Umfrage zeigt, gibt es in vielen Bereichen bereits positive Entwicklungen, es besteht aber auch noch Verbesserungspotenzial.
Besonders gut bewertet wurden Aspekte wie ein angenehmes Betriebsklima, individueller Handlungsspielraum und das Übertragen von Verantwortung – viele Teilnehmende empfanden diese Punkte als „eher erfüllt“ oder „voll erfüllt“. Dies deutet darauf hin, dass einige Unternehmen bereits Strukturen geschaffen haben, die Vertrauen und Eigenständigkeit fördern.
Allerdings zeigen die Ergebnisse auch Herausforderungen: Ein toleranter Umgang, faires Miteinander und der Umgang mit Fehlern wurden vergleichsweise häufiger als „gar nicht erfüllt“ oder „eher nicht erfüllt“ bewertet. Auch das Erfahren von Wertschätzung und eine klare, berechenbare Kommunikation scheinen in vielen Arbeitsumfeldern noch nicht ausreichend etabliert zu sein.
Diese Erkenntnisse verdeutlichen, dass psychologische Sicherheit kein Selbstläufer ist, sondern aktiv durch eine offene Kommunikationskultur, Wertschätzung und konstruktiven Umgang mit Fehlern gefördert werden muss. Unternehmen, die dies priorisieren, schaffen nicht nur eine gesündere Arbeitsumgebung, sondern profitieren auch von motivierteren und produktiveren Teams.
Auch, wenn es sich nur um eine kleine Stichprobe handelt, unterstreichen die Ergebnisse der Umfrage, wie wichtig es ist, Mental Health am Arbeitsplatz als prioritäres Thema zu behandeln, besonders in Zeiten der Volatilität, Unsicherheit, Komplexität und Ambiguität. Unternehmen, die eine offene Kultur fördern, Führungskräfte schulen und gezielte Angebote schaffen, tragen aktiv zu einem gesünderen, produktiveren Arbeitsumfeld bei und machen sich nicht nur als Arbeitgeber attraktiv, sondern vermeiden in Zeiten des Fachkräftemangels unnötige Turnovers, die einen Zeit- und Kostenfaktor darstellen.
Wer würde sich nicht gern daran gewöhnen, dass hier noch viel mehr Bewusstsein entsteht? 😊
Hier findest Du alle Ergebnisse zum Survey ein einer Grafik.
